5. May Ayim

May Ayim wurde 1960 als Tochter eines Ghanaers und einer Deutschen in Hamburg geboren. Die leibliche Mutter von Ayim wollte keinen Kontakt zu ihr und der Vater konnte sie nicht zu sich nach Ghana holen, weshalb sie bis zu ihrem zweiten Lebensjahr in einem Heim lebte. Mit 18 Monaten wurde sie von einer weißen Pflegefamilie zu sich nach Hause geholt und auf den Namen Sylvia Brigitte Gertrud Opitz getauft. Erst 1992 nahm May den Nachnamen ihres Vaters Emmanuel Ayim an. Ihre Kindheit ist geprägt von Angst und Strenge. Da Ayim als „reinrassiger Mischling“ ohnehin schon auffalle „wie ein bunter Hund“, so die Pflegeeltern, sollte Sie als Musterkind heranwachsen. Sie selbst beschreibt es folgendermaßen: „Angst gab es genug. Wahrscheinlich Platzangst. Oder Angst zu platzen. Angst, unter Schlägen und Beschimpfungen zu zergehen und sich nicht mehr wiederfinden zu können.“ Auch Jahre später, nach ihren erfolgreichen Veröffentlichungen, veränderte sich die rassistische Haltung der Pflegeeltern nicht, sondern sie diffamierten sie mit der Behauptung ihre wachsende Bedeutung in der Schwarzen Community sei eine Spätfolgen einer frühkindlichen Störung und krankhaften Drang, ihre Hautfarbe und afro-deutsche Identität zu bewältigen.

Nach ihrem Abitur studierte Ayim zunächst an der Pädagogischen Hochschule in Münster ein Lehramt . Nach kurzer Zeit wechselte sie aber zu Psychologie/Pädagogik, was sie nach Regensburg führte. Während ihres Studiums reiste sie das erste Mal nach Ghana, um ihr kulturelles Erbe aufzuspüren. Die Begegnungen mit ihrer ghanaischen Großfamilie beschrieb May Ayim später mit dem Sinnbild eines „wallnussmangobaums“ (1995) – ein Baum des Lebens, das Früchte aus beiden Ländern trägt. 1986 erhielt May schließlich von der Universität Regensburg ihr Diplom in Pädagogik und zog von dort nach West-Berlin.

May Ayims Weg zu sich selber war ein langer, denn sie lebte in einer Gesellschaft, die bis heute ungern über Rassismus redet und sogar ein Schritt weiter geht und behauptet, dass es Rassismus nicht gibt. Eine ganz besondere Wendung nimmt ihr Leben, als Ayim die die Schriftstellerin und Aktivistin Audre Lorde während eines Gastbeitrags an der Freien Universität in Berlin trifft. Durch dieses Treffen und der Vernetzung innerhalb der Schwarzen Community entsteht das Buch “Farbe bekennen. Afro-deutsche Frauen auf den Spuren ihrer Geschichte”, in welcher Ayim ihre Diplomarbeit veröffentlichte. In Analogie zu ‚Afro-American’ entwickelte sie im Austausch mit anderen Schwarzen deutschen Frauen die Selbstbenennung ‚Afrodeutsch’. Mit dem Schritt, sich selbst zu benennen, lösten Schwarze Frauen rassistische Fremdbenennungen ab. Das Werk ist auch durch die Kritik und Sichtbarmachung deutschen Kolonialismus seitens Schwarzer Frauen einmalig. Im selben Jahr gründet sie gemeinsam mit anderen Schwarzen Frauen die Initiative Schwarze Deutsche und Schwarze in Deutschland, die bis heute Interessen Schwarzer Menschen in Deutschland vertritt und Rassismus und Benachteiligung aufzeigt und dagegen kämpft.

1987 begann May Ayim eine dreijährige Ausbildung zur Logopädin. Nach erfolgreicher Beendigung ihrer Ausbildung arbeitete sie freiberuflich als Logopädin und nahm diverse Lehraufträge an. Als Sprach­thera­peu­tin ist May Ayim mit den ver­schie­de­nen Aspek­ten von Sprache ver­traut – auch mit der Gewalt, die sich in und über Sprache aus­drückt. Als Pä­da­go­gin und poli­tische Akti­vistin setzt sie sich mit unter­schied­lichen Dimen­sio­nen von Gewalt – auch aus­ge­übt in und über Sprache – aus­ein­ander und zeigt neue Wege auf. Ihre Inte­res­sen und Aus­rich­tun­gen sind breit ge­fä­chert, weshalb Sie an zahlreichen nationalen und internationalen Konferenzen und Tagungen teil, unter anderem Celebrated African Identity (1992), African Women Living in Europe (1992), Testament: Writers at the Crossroads (1994) oder Xenophobia in Germany: National and Cultural Identities after Unification (1994) teilnahm. Ihre Liebe zur Sprache verfestige sie mit zwei Gedichtbänden: blues in schwarz weiss (1995) und nacht gesang (1997).
Nachdem May Ayim die Diagnose Multiple Sklerose erhält, beendet sie am 09. August ihr Leben. May Ayim zählt zu den prominentesten Vertreterinnen der Schwarzen Community in Deutschland. Ihre Worte und Werke führten nicht nur zur Sichtbarmachung von Schwarzen Menschen, die ihren Lebensmittelpunkt in Deutschland haben, sondern auch zur Bekanntmachung einer längst verloren geglaubten Geschichte. 2010 wurde Gröbenufers in May-Ayim-Ufer unbenannt und dadurch schaffte es die Schwarze Community in Deutschland, sich als selbstbestimmte Teilkultur in die deutsche Nation und deren Geschichte und Gegenwart zu verwirklichen. Durch die Umbenennung wurde sichergestellt, dass der Bezug zum deutschen Kolonialismus hergestellt und im Stadtbild der ehemaligen Kolonialhauptstadt Berlin verewigt wird.

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